M. Assmann Q12
Ain´t no mountain high enough
Wieder im eigenen Bett, der bekannten Umgebung und der vertrauten Bequemlichkeit angekommen, lasse ich die letzten Tage Revue passieren.
Fünfzehn Jugendliche, sechs Tage und fünf Nächte in Hütten. Diese drei leiten die Mission: Frau Thomas, Herr Wimberger und Herr Wohnhas. Interessante Kombination. Und so versammelt sich die Truppe am Sonntag zu morgendlicher Stunde am Bahnhof Rosenheim. Hier soll es losgehen. Noch stehen wir im Kreis, das Packmaß der anderen Rucksäcke muss natürlich genau inspiziert werden, aber im Nu setzen wir schon den ersten Fuß auf Salzburger Boden in Bad Gastein. Von hier aus ist unser Startpunkt nur einen Katzensprung entfernt, also ab in den Bus nach Sport Gastein, und die erste Etappe beginnt.
Bei der Probewanderung einige Wochen vorher haben wir schon einen Vorgeschmack aufs gemeinsame Wandern bekommen, doch da war die Gruppe noch nicht vollständig, die Ausrüstung nicht komplett, und die Seminarfahrt, die erst nach den langen Sommerferien beginnen sollte, noch weit weit weg. Ins eigene Tempo beim ersten Aufstieg zu finden ist nicht ganz leicht, wenn man sich der Gruppe anpassen und keinen aufhalten will, sich aber die eigenen Kräfte einteilen muss. So nutzen alle den Weg bis zur ersten Hütte, um sich in der ungewohnten Gruppensituation zurecht zu finden.
Wir erreichen nach ungefähr vier Stunden das Naturfreundehaus. Jetzt erstmal ankommen. Schon am ersten Abend entwickelt sich eine leidenschaftliche Gesellschaftsspiel-Kultur, die endgültig das Eis untereinander bricht (später stellt sich heraus, dass vor Allem beim Ligretto nicht alle einen kühlen Kopf bewahren) und so wird die Stimmung für alle kommenden Abende gesetzt.
Wir alle sitzen zusammen, reden und lachen, bis es langsam ruhiger wird und sich nach und nach jeder ins Bett kuschelt. Die erste Nacht in den Bergen ist eine Umstellung, wir müssen uns ja schließlich erst einmal ans Hüttenleben gewöhnen, aber auf über 2000 Metern schmeckt das Frühstück besonders gut, und wir können gestärkt in Tag zwei starten. Auf gehts Richtung Duisburger Hütte, über Wiesen und Felder, Steine und Felsen. Jetzt wandern wir schon wie eine echte Expeditionsgruppe im Gänsemarsch hintereinander her und haben nur ein Ziel: hoch hinaus (und die Duisburger Hütte).
So gehen wir weiter und weiter, Schritt für Schritt, es wird steiler, der Atem wird schneller, der Herzschlag nimmt zu und die Redseligkeit ab, hinauf gehts, der Schweiß rinnt und dann – Ruhe: Der Himmel tut sich über uns auf. Die Wolken steigen von unten langsam rauf. Die Vögel ziehen über den Tälern ihre Kreise. Wir lassen uns den Wind um die Nase wehen und können zum ersten Mal so richtig weit sehen.
Bald brechen wir wieder auf. Wie ich so auf den Boden schaue und versuche mich darauf zu konzentrieren jeden Schritt geschickt zu setzen, schweifen meine Gedanken immer wieder ab. Ich sehe weiter entfernt Blumen, die zwischen den Steinen wachsen, weiße und blaue, im Pulk und einzeln, und frage mich, wie diese zarten Pflänzchen zwischen den schroffen Felsen nur gedeihen können. Lange bleibe ich aber nicht in Gedanken versunken, denn sobald es wieder steiler bergauf geht, versuche ich nur immer noch einen Schritt zu gehen und wenn die Stimme im Kopf dann endlich verstummt, ist das irgendwie befreiend.
Und dann, nach knapp sieben Stunden, ist sie in Sichtweite. Rot weiße Fensterläden, aus massivem Stein gebaut und von einer Holzterrasse umgeben: Die Duisburger Hütte. Unser heutiges Tagesziel ist erreicht und von hier aus sehen wir wieder so wunderbar weit. Es ist früher Vormittag als wir ankommen, also ist viel Zeit für Geselligkeit und der heutige Hüttenwirt, Charakterkopf wäre eine Untertreibung, hat genügend Gelegenheit ein paar Sprüche zu klopfen (und macht schon fast Herr Wimberger Konkurrenz). Im Zimmer ist es gemütlich und abends schlafen wir Matratze an Matratze in unsere Wolldecken gewickelt ein.
Es ist ungefähr acht Uhr, die Sonne scheint, in der Luft liegt eine angenehme Morgenfrische und wir sind bereit für die nächste Etappe, eine besondere noch dazu, denn heute gehts ins Tal. Mallnitz ist unser Ziel, ein heilklimatischer Kurort, irgendwo im tiefsten Österreich. 872 Einwohner: Hier steppt zwar nicht der Bär, aber wir sind natürlich trotzdem unsterblich in das Örtchen verliebt. Wir wollen unsere Vorräte aufstocken und für die geplante Nächtigung in einer Selbstversorgerhütte einkaufen. Also geht es bergab, bergab, bergab. Es wird stetig grüner, die Landschaft weicher und hügeliger. Wir wandern durch Pfade in wilden Blau- und Preiselbeerfeldern, vorbei an kleinen, ins Gras gebetteten Seen, immer auf das Tal zu. In der Ferne sehen die Felder rot und grün aus und nur hier und da spitzt mal ein Felsen heraus.
Warm duschen, frisch anziehen und gemeinsam essen – der Abend im Tal verläuft ruhig und erholsam. Morgen müssen wir alle fit für den Aufstieg zur Selbstversorgerhütte sein. Über 1.300 Höhenmeter wandern wir am vierten Tag bergauf, raus aus dem Tal, immer höher, es wird kälter und der Wind eisiger. Ein anderes Gefühl ist es schon zu gehen mit dem Gedanken nicht in einer aufgewärmten, bewirteten Hütte anzukommen, in der für alles gesorgt ist. Wir wissen nur, die Minderer Hütte ist klein, es gibt keine Dusche, kein Waschbecken und wir müssen den Holzofen anfeuern, damit es warm wird. Von diesem Abend erhoffe ich mir nur, dass wir alle satt werden und keinem allzu kalt sein muss. Nach sieben Stunden sind wir im Endspurt des Tages, wir sehen die Hütte schon und endlich sind wir da. Einheizen ist unser erstes Ziel. Wir wollen heißen Tee kochen und es uns in der Hütte gemütlich machen. Das Feuerholz ist in einem kleinen Schuppen nebenan gelagert, in dem wir noch ein paar andere Notwendigkeiten, namentlich Briketts, Toilettenpapier mit Kamillenduft und Dosenbier vorfinden.
Der Ofen brennt, aus einem Radio in der Ecke tönen bald Fetzen von einem Popsong und bald ein Rauschen und alle sind irgendwie zufrieden. Dicht gedrängt sitzen einige um den Tisch neben dem Ofen und ein paar sitzen in den Hochbetten nebenan und spielen Karten. Tritt man eben vor die Tür, um den Kessel mit Wasser zu befüllen oder ein bisschen frische Luft zu schnappen, bringt einen der kalte Wind zum Zittern. Wieder drinnen in der Gemütlichkeit spielen wir weiter oder reden, bis es Zeit ist zu Kochen. Und schon ist der Tisch voll mit allem, was wir so emsig hochgeschleppt haben. Da sind Paprikas, Frühlingszwiebeln, und Champignons, Reis und Kokosmilch, Currypulver und Kichererbsen. Bald fängt es in unserem Quartier zu duften an und schon essen wir hungrig das selbstgemachte Curry. Draußen wird es immer dunkler und drinnen sitzen wir zusammen. Beim Schein von ein paar Teelichtern reden wir frei und persönlich. Jeder kann dazukommen, seine Gedanken teilen, nur zuhören oder ganz weghören. Es ist ein Abend, an dem in dieser so kleinen Hütte jeder einen Platz findet. Schon in dem Moment bin ich mir sicher, dass ich mich an diese Stunden mit diesen Leuten immer froh erinnern werde.
Die Morgenkälte vertreibt alle Gemütlichkeit und wir sputen uns die Hütte zu räumen, uns alle warm einzupacken und die Etappe zu unserer letzten Hütte zu starten. Ist das jetzt wirklich schon die letzte Nacht? Und dann ist es vorbei? Dann kommt der ganze Stress: Seminararbeit, Klausuren, die letzten Schulstunden, die Abiprüfungen, und am Ende ein letztes Mal beim Abiball zusammen feiern und dann ist es wirklich zu Ende?
Diese Gruppe, diese Leute sehe ich bald vielleicht nie wieder. Oder nur noch ganz selten. Bei dem Gedanken wird mir ein bisschen schwer ums Herz. Ich konzentriere mich wieder auf den Weg. Jetzt bin ich noch hier. Jetzt genieße ich die letzte Nacht auf unserer Tauernwanderung und dann die letzten Schulmonate und all die Freiheit danach. Zwischen den Bergen taucht ein glasklarer Gebirgssee, der kleine Tauernsee, auf und es bietet sich eine Gelegenheit, die wir nutzen müssen. Wanderhose aus, Badesachen an und rein ins Wasser. Auf einen Schlag bin ich hellwach, spüre jedes Körperglied, unterdrücke den Impuls sofort wieder rauszugehen, schwimme ein paar Züge und höre das Lachen der anderen, noch ein bisschen länger in der erfrischenden Eiseskälte und dann schnell wieder raus. Ab ins Trockene und in die warmen Klamotten. Genau jetzt scheint die Sonne zwischen den Wolken hindurch und schenkt uns ein paar wohlig warme Strahlen. Bald versteckt sie sich wieder, wir wandern weiter, noch ein kleines Stück, einen letzten steilen Anstieg hoch, und angekommen sind wir am Hannover Haus. Am letzten Abend sitzen wir lange beisammen, erst unten an den Tischen, später oben in einem der Zimmer. Ich will gar nicht, dass dieser Abend vorbei geht und obwohl mir schon fast die Augen zufallen, bleibe ich noch lange dabei, bis jeder in sein Zimmer verschwindet. Ich wache auf, es ist Freitagmorgen, der letzte Tag unserer Tour hat angebrochen.
Unten erwartet uns ein sehr gutes Frühstück, eine unverhoffte Überraschung für den perfekten Start. Danach ein letztes Mal den Rucksack packen, die Wanderschuhe zuschnüren, kurzer Wettercheck: heute brauchen wir eindeutig Regenschutz, und schon marschieren wir los. Zehn Kilometer trennen uns noch von Mallnitz. Schön, den letzten Tag dort zusammen zu verbringen und sich von Mallnitz` Charme ein weiteres Mal begeistern zu lassen. Ein Abschlussfoto mit dem Mallnitzer Lindwurm darf natürlich nicht fehlen und dann steigen wir auch schon in den Zug Richtung Heimat. Wieder im eigenen Bett und der vertrauten Bequemlichkeit. Ich schaue auf eine Woche voller Erlebnisse und Erinnerungen zurück. In die bekannte Umgebung kehre ich verändert zurück und beim Gedanken an die vergangenen Tage mit unserer Truppe, macht mein Herz einen kleinen Hüpfer. Danke für dieses Abenteuer.